Tourismus Segen oder Fluch Peru Titicacasee Uru Inseln

Tourismus – Segen oder Fluch?

Ein Reisebericht aus Südamerika. Von Thomas Wilken.

Hier liegt der Fluch wohl näher als der Segen, trotz einiger natürlich sehr positiver Auswirkungen die ich nicht verschweigen möchte. Zuerst einmal wird die eigentlich schon mit den ursprünglichen Inselbewohnern ausgestorbene Tradition zumindest in Ansätzen erhalten, wenn es auch bei fast allen Beteiligten fast ausschließlich darum geht Touristen anzulocken, nicht das unverfälschte Leben auf den Schilfinseln darzustellen und für weitere Generationen zu sichern. Viele Einzelteile dieser Kultur werden so mittlerweile verschwunden, bzw. durch geldbringendere, etwas westlicher zugeschnittene ersetzt worden sein. Zum anderen kommen natürlich Soles herein, was zumindest eine Verbesserung der Lebensumstände der Uru-Nachfahren bedeutet.

Der Preis dafür ist zwar hoch, dennoch tun sie freiwillig, was ich unten noch ausführlicher beschreibe. Einmal daran gewohnt auf diese Weise Geld zu verdienen kommt ihnen natürlich auch nicht in den Sinn das Risiko einer Veränderung einzugehen. Sicher gäbe es auch andere Möglichkeiten seinen Lebensunterhalt zu verdienen, als sich doch mehr als nur etwas degradiert zur Schau stellen zu müssen. Doch wenn man von Kindheit nur an diese Art des Geldverdienens gewohnt ist, werden andere Berufe gar nicht erst in Betracht gezogen,die Schule vernachlässigt und irgendwann ist es dann auch zu Spät für eine Veränderung.

Ich habe die Urus in der Überschrift als „schwimmenden Zoo“ bezeichnet, denn Zootieren ähnlich stellen sich die Indigena dort zur Schau, dies allerdings absolut freiwillig, Armut lässt eben nicht viele Auswahlmöglichkeiten offen. Bewohnt sind die Inseln kaum noch, früh am Morgen kommen die „Bewohner“ dann mit ihren eigenen, mittlerweile uruuntypischen, Booten und bauen ihre Stände auf. Diese Tatsache war mir bei meinem Besuch der Inseln allerdings noch unbekannt. Der ufernahe Teil des Sees wirkt deutlich verschmutzt und ist stark mit Algen durchzogen. Hier haben Punos Abwässer ganze Arbeit geleistet, umso weiter man sich aber von der Stadt entfernt, desdo klarer und blauer wirkt das Wasser und bestätigt alle positiven Vorurteile. Noch ist der See zu groß, bzw. die Verstädterung um ihn herum noch zu gering, als das die Abfälle der Zivilisation ihm ernsthaft etwas anhaben können. Stellt sich nur die Frage wie lange noch. Aber zurück zu den Urus. Schon beim Anlegen auf der ersten Insel, ich weiss keinen Namen, dieser spielt aber auch eine sehr untergeordnete Rolle, fühle ich mich sehr unwohl. Fast bewegungslos sitzen die sog. Urus hinter unnatürlich aussehenden Ständen, zumeist aus Bambus (immerhin) und versuchen allerhand Andenken und „urutypische“ Gebrauchsgegenstände zu verkaufen.

Der übliche Kitsch ist hier zu erstehen, welchen es auch überall auf dem Festland zu kaufen gibt. Billige Plastikskulpturen, Ketten und auch Postkarten. Außerdem kann gegen Bares ein Erinnerungsfoto mit echten Inselbewohnern gemacht werden, sie bieten es nicht nur an, sie drängen sich geradezu auf. Den Einzigen Lichtblick bilden handgewebte Kleidungsstücke, welche es aber natürlich ebenfalls nicht nur hier sondern praktisch im gesamten Andenhochland gibt. Einige der Urus stieren einfach nur vor sich hin und scheinen erst zum Leben erweckt zu werden, wenn man sich für ihr Warenangebot interessiert. Man spürt förmlich wie unangenehm es ihnen ist sich den ungeliebten, aber immer noch durch ihr Vermögen mächtigen weißen Eindringlingen (das sind wir ja weiterhin, wenngleich akzeptiert und von weiten Teilen der Bevölkerung wohl auch gewollt als Touristen) praktisch auszustellen. „Schau mal echte Indianer“ mag man manchen der Besucher in den Mund legen, Worte die sich in deutschen Zoos auch allzu oft vernehmen lassen. Entsprechend verhalten sich die meisten auch, den prall gefüllten Geldbeutel in der Hand geht es von Stand zu Stand, sichtbare Erinnerungsstücke werden zusammengerafft und natürlich darf auch das Bild mit dem oder der echten Indigena nicht fehlen. Für das Leben, die Kultur oder gar die Persönlichkeit dieser Menschen interessiert sich dabei kaum jemand, viele der Indigena scheinen diese Dinge selbst schon fast vergessen zu haben. Andere treten selbstbewusster auf und übernehmen die Initiative. Sie sprechen potenzielle Käufer selbst an, und haben sie diese erstmal ins Gespräch verstrickt ( schwer möglich, da aufgrund mangelnder Englischkenntnisse auf der einen und Spanischkenntnisse auf der anderen Seite nur eine gestenreiche Verständigung möglich ist), verhandeln sie sehr penetrant. Dieses Verhalten sieht man häufig in Südamerika, aber auf den Raum von wenigen Quadratmetern erhält es eine andere Dimension.

Wirkliche Uruerzeugnisse, zum Beispiel Fisch oder Bambusarbeiten gibt es übrigens nicht zu sehen und irgendwann (ehrlich gesagt nach wenigen Minuten) wird mir das ganze zu viel und ich ziehe mich auf einen der eigens für Touristen erbauten Bambustürme zurück. Eine recht wacklige Angelegenheit zwar, dafür habe ich aber meine Ruhe und zudem einen schönen Blick über den See. Hier ist es fast nicht möglich als wirklicher Besucher aufzutreten, da man auf der eine Seite merkt, das man nur aufgrund seines Geldes akzeptiert wird, andererseits aber genau dieser scheinbare Reichtum eine fast unüberwindbare Barriere bildet. Man selbst muss sich erst einmal bewusst werden, hier plötzlich eine vermögende Person zu sein, bei mir persönlich ist das in Deutschland nämlich nicht der Fall. Für hiesige Verhältnisse aber ist allein die Vorstellung des Preises für den Flug von Europa hier hin eine völlig unwirklich scheinende Summe. Auch wenn wir vielleicht ein paar Monate für derartige Reisen sparen müssen, die Einheimischen geben diese Summe vielleicht im Laufe ihres kompletten Lebens aus, wenn überhaupt. Für mich ist es eine eher unangenehme Erfahrung plötzlich (das gilt natürlich in ganzen Land) wegen meines Geldes überall zuvorkommend behandelt zu werden und von jedem als Geschäftspartner gewünscht zu sein. Dabei gilt es natürlich immer vorsichtig zu sein, da manche Südamerikaner meinen weiße Gäste allzu deutlich übervorteilen zu müssen. Vieles wird dabei nach dem ersten Satz auf Spanisch deutlich relativiert, eine gewisse Skepsis bleibt aber immer zurück. Trotzdem kann ich dieses Verhalten keinem Einheimischen verübeln, die Europäer waren und sind immer noch (Nordamerikaner zählen ja streng genommen auch als Europäer) zum großen Teil für die herrschenden Lebensumstände verantwortlich, deshalb ist es in meinen Augen das gute Recht eines jeden Indigenas selbst für etwas ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Was mich dabei wirklich schockiert ist die Unterwürfigkeit, welche einem zumindest äußerlich oft entgegenschlägt. In südamerikanischen Ländern gilt man leider immer noch umso mehr umso heller die Hautfarbe ist und umgekehrt. Zwar mögen die Indigena oftmals hinter dem Rücken des weißen Mannes, einschließlich der Nachfahren der Spanier über diese lachen, im täglichen Stadtleben ordnen sie sich aber fast bedingungslos unter. Auf den Dörfern gibt es diesen Kontrast ja auch nicht, und die Stadtindigena haben selbst gewählt die Lebensweise der Weißen für sich zu übernehmen, daher geben sie sich mit den unteren Plätzen in der Hierarchie zufrieden. Ich würde mir einfach mehr vom viel beschriebenen Stolz wünschen, den man als Nachfahren der einst so stolzen Inka doch auch durchaus haben kann. Zumindest aber braucht man damit nicht hinter den Europäern zurückstehen, deren größte Errungenschaft schließlich die Zerstörung ist, was gerade in Peru noch gut zu sehen ist. Daher betrübt mich auch die Art wie die Urus sich hier als fast seelenlos wirkende Ausstellungsstücke präsentieren. Wirklich wie im Schaukasten setzen sie sich in Positur, mit keinem anderen Grund als den Touristen die gewünschten Bilder zu liefern. Ihre wirkliche Kultur und vor allem Identität bleiben dabei völlig auf der Strecke. Ich frage mich ob eine geringfügige materielle Verbesserung, mehr kann es eigentlich nicht sein, dies wirklich Wert ist. Aber mir steht es nicht zu darüber zu urteilen, da ich ihre finanziellen und existenziellen Nöte und Umstände nicht wirklich beurteilen kann, dafür geht es mir als deutschem immer noch viel, viel zu gut.

Es werden dann übrigens noch weitere Inseln angesteuert, alle mit ähnlichem Resultat. Das veranlasst mich zu dem Entschluss keine weiteren Inseln mehr zu besuchen, nachdenklich laufe ich danach noch lange ziellos durch die Strassen von Puno.